4. Spandauer Weihnachtsopen 2018

Im Grunde genommen gibt es doch drei Gruppen von Menschen: Einmal wären da die, die die Zeit zwischen Weihnachten und Silvester mit der Familie verbringen. Auf der anderen Seite gibt es jedoch auch die, welche dieses Privileg nicht genießen können, da der Arbeitgeber möglicherweise der Meinung ist, es müsse noch etwas für eine gute Jahresbilanz getan werden. Jedenfalls, und dann gibt es noch die Gruppe der Schachspieler, die sich auch die Zeit zwischen den Jahren mit einem Turnier um die Ohren schlagen. Stolz hin oder her; dieser Gruppe bin ich angehörig, aber keineswegs allein. Auch weitere meiner Vereinskameradinnen und -kameraden zeigten ihre Präsenz am Schachbrett: Während unsere Mädels den SG Trier bei der DVM u20 weiblich in Osnabrück mit 4:0 abfertigten, Hauke beim Winteropen des SC Zugzwang einem 1900er zeigte, aus welch einem (taktischen) Holz er geschnitzt ist, und Felix beim Meisterturnier des Erfurter Schachfestivals im Inbegriff war, sich seine 2000 wiederzuholen, machte sich meine Wenigkeit vom 27.12. bis 30.12. täglich auf den Weg nach Berlin-Spandau, um am dort ansässigen Weihnachtsopen, mittlerweile schon in der 4. Auflage, mitzuwirken und die Fahne Leegebruchs hochzuhalten. Im Folgenden werde ich mich meinen Partien zuwenden, allerdings nicht in der inhaltlichen Form, wie ich es sonst bei den Ligaspielberichten mache.

Den wohl größten Erfolg, sowohl in dem Turnier als auch für mich selber, konnte ich direkt in der ersten Runde mit Weiß erzielen. Als einer der wenigen verlor ich nicht, wie es in Runde 1 sonst immer für die vermeintlich Schwächeren üblich ist, sondern erspielte mir einen halben Punkt gegen einen 2112er. Auch wenn das an sich schon Erfolg genug ist, aber ich hätte sogar gewinnen können. Wie heißt es so schön: Hätte, hätte – Fahrradkette! Aus den Resultaten geht lediglich das Ergebnis hervor, aber nicht, welche Gegebenheiten vorlagen. Ich hatte die Möglichkeit, meinen Gegner auf Zeit auflaufen zu lassen, da seine Uhr weniger als eine Minute für noch satte 14 Züge anzeigte; zudem besaß ich, wohlgemerkt mit 27 verbleibenden Minuten Bedenkzeit, sogar eine etwas vorteilhaftere Stellung mit massivem Druck. Zwar spielten wir mit Inkrement, nur er hätte sich um seine eigene Verteidigung kümmern müssen, und verteidigen ist in Zeitnot grundsätzlich schwieriger, als anzugreifen. Ich entschied mich aber, dies nicht zu tun und gab ein Remis-Angebot ab, da ich generell der Überzeugung bin, dass das Schachspiel im Vordergrund stehen sollte. Nach der Partie kam sofort ein Vereinskamerad meines Gegners zu mir und fragte mich, warum ich das gemacht habe, worauf ich das entgegnete. Mir ist bewusst, dass man mich hätte auflaufen lassen, wäre ich in Zeitnot gewesen, nur man muss nicht so handeln, wie es der Großteil tut. Wäre das jedoch bei einem Mannschaftskampf, hätte ich es schweren Herzens getan. Klar, das ist wieder eine andere Geschichte. Darum soll es uns aber nun weniger gehen.

Auch bei meinen anderen Partien, bei denen ich die weißen Steine führen durfte, konnte ich immer punkten: In Runde 3 traf ich auf einen Kollegen aus Nauen, der beim Liga-Duell einige Wochen zuvor noch ein Brett neben mir saß. Er spielte eine gute Partie, nur „unzureichende Endspielkenntnisse“, wie er selber dazu im Nachhinein sagte, führten letztendlich zu seiner Niederlage. 

Großes Losglück erwischte ich in der 5. Runde – ich hatte mal wieder einen ohne Wertzahl vor mir. Dies ist in vielerlei Hinsicht suboptimal: Zum einen hindert das einen bei der Umsetzung seines eigenen Vorhabens, zum anderen weiß man nicht, was einen erwartet. Beim Versuch einer Vorbereitung auf meinen Gegner fand ich natürlich nichts, außer seine Ergebnisse aus den vorherigen Runden: Gewonnen gegen ü1500, Remis gegen ü1600. Von da an wusste ich: Das kann ja wieder richtig spaßig werden! Die Partie hat auch Spaß gemacht, keine Frage; es war sogar eine schöne Partie, bei welcher ich mehr gefordert werden sollte, als mir vielleicht lieb war. Nach fast fünf Stunden und gefühlt ein paar Nervenzellen weniger hatte ich immerhin den vollen Punkt in der Tasche. Auch hier bildete das Endspiel die Grundlage für meinen Erfolg. Allmählich scheint sich das Studieren von Endspielen bezahlbar zu machen. Und ja, ich studiere neben Deutsch und Geschichte auch Endspiele – sofern es mir meine Zeit zulässt. Bei der nachträglichen Analyse der Partie war ich von den Kenntnissen meines Gegners beeindruckt, da er mit solchen Thematiken wie Eröffnungstheorie, Tempo, Läuferpaar, Figurenaktivität, -mobilität und -koordination – um nur mal ein paar zu nennen – sehr vertraut war. Auch auf Verlockungen ließ er sich nicht ein; Drohungen, die nicht immer offensichtlich waren, sah er alle. Nicht umsonst stieg er direkt mit einer 1500 ein – und auch zurecht. Wie ich herausfand, war es sein erstes großes Turnier; bisher spielte er nur online und hat sich dort alles beigebracht. Wenn mich nicht alles täuscht, habe ich einen zweiten Felix gefunden. Dumm nur, dass er sich aufgrund seines Wohnsitzes einen Verein im Süden von Berlin gesucht hat. Leegebruch ist da doch zu weit entfernt. Schade aber auch.

Und wie es der Zufall so will, erwischte ich in der letzten Runde nochmals einen DWZ-losen. Irgendwie scheine ich eine magische Anziehungskraft auf diese auszuüben. Schon in Falkensee wurden mir bei fünf Partien zwei ohne Wertzahl zugelost; jetzt wieder. Wenn das so weitergeht, hänge ich mir bald ein Schild mit der Aufschrift „Ich nicht!“ um den Hals. Wie dem auch sei, so viel zu meinem Missfallen über die Entscheidungen des Auslosungsprogrammes. In Runde 7 lief an sich alles gut; am Ende vergab ich jedoch meinen Sieg und landete sogar in einem minimal schlechteren Endspiel, da meine Figuren nicht optimal standen. Mir gelang es aber, trotz meines mittlerweile angeschlagenen Zustandes, aus meiner passiven Stellung heraus die Initiative zu ergreifen und immerhin einen Bauern zu gewinnen. Das entstandene Turmendspiel mit Mehrbauern konnte ich aber nicht mehr gewinnen, sodass ich zum Abschluss des Turniers nochmals einen halben Punkt mitnahm.

Meine Partien, bei denen ich die Ehre hatte, mit schwarz spielen zu dürfen, bekommen ebenso Extra-Absätze. Dort lief nämlich einfach gar nichts. Es soll nun nicht der Eindruck entstehen, dass ich mich in irgendeiner Weise dafür rechtfertigen möchte, aber es ist einfach eine Tatsache, dass man mit schwarz gegen stärkere Gegner, die mich nachmittags immer erwarteten, schon einmal grundsätzlich schlechtere Karten hat. Dazu muss ich gestehen, dass mir bei den Nachmittagsrunden das Brett vor den Augen verschwamm und meine Konzentration am Nullpunkt angelangt war, verstärkt noch durch das frühe Eintreten der Dunkelheit und dem Zwielicht im Spielsaal. Das führte dann dazu, dass meine Partien unter anderem auch schneller vorbei waren, als ich es mir vorgestellt habe. Um da mal ein paar Beispiele anzuführen:

In der Partie der 2. Runde, bei welcher ich zur Abwechslung aggressiver vorging als sonst üblich, sah ich in meinen Berechnungen meinen Springer in einem Zug von g4 nach g2 kommen. Jeder weiß: Funktioniert natürlich nicht! Und genau diese Erkenntnis kam mir später auch und zeigte mir, dass die Variante, die ich spielte, damit wiederlegt war und ich dementsprechend mit den Konsequenzen leben musste. 

In Runde 4 stellte ich dann einen persönlichen Rekord auf. Dabei handelte es sich um meinen schnellsten Verlust. Meine Gegnerin wählte eine für sie nicht optimale Eröffnungsvariante, bei der Schwarz direkt Ausgleich erhält. Dazu zeigte sie mir mit Zügen wie h4! früh ihre Ambitionen. Da es sich bei ihr um eine WFM-Titelträgerin handelte, kann es gut sein, dass eine solche Vorgehensweise einen etwas einschüchtert. Ich denke, dass es auch bei mir ein wenig der Fall war und ich mir zu viele Sorgen über Dinge machte, die vielleicht gar nicht nötig waren. Ich war aber der Meinung, über verschiedene Wege einen Damenfang zu sehen; ebenso musste ich auf mögliche Fesselungen bzw. Abzüge Acht geben, da ich noch nicht die Zeit hatte, zu rochieren. Anstatt einfach „normal“ weiterzuspielen, entschied ich mich, im Zentrum weiter Druck zu machen. Prompt bestätigte sich meine Annahme, über unterschiedliche Wege einen Fang meiner Dame wahrgenommen zu haben, da ich in einen solchen geraten war, der mich traurigerweise im 12. Zug zur Aufgabe bewegte. Im ersten Moment ist das schon deprimierend gewesen, da man sich doch etwas mehr ausmalt; mittlerweile nehme ich es aber ganz locker.

In der 6. Runde verlor ich früh aufgrund einer Unachtsamkeit einen Bauern. Kurz darauf, bei einer vermeintlichen taktischen Möglichkeit, sah ich, dass ich zwei Bauern gewinne. Ein paar Züge später wunderte ich mich dann, warum ich auf einmal eine Figur weniger hatte. Im Gegenzug besaß ich jedoch zwei Mehrbauern, wobei ein Bauer sogar ein Freibauer war, und ich probierte noch etwas mein Glück, doch auch die dritte Partie mit schwarz war zum Scheitern verurteilt.

Nun denn, einen Vorteil hatte das Ganze: Ich war bei Zeiten wieder zuhause und konnte mir nach dem Einnehmen einer nährstoffreichen Mahlzeit eine spannende Abendbeschäftigung suchen. Meistens lief es auf weniger interessante Fernsehbeiträge hinaus. Irgendwie läuft da auch nichts Gescheites mehr…

Am Ende konnte ich mit drei erspielten Punkten meinen Setzplatz um ein paar Plätze verbessern. Vor der letzten Runde hatte ich das Ziel, mit 3 ½ Punkten bei einem so starken Teilnehmerfeld die 50%-Marke zu erreichen, was auch für mich machbar war. Es hat leider nicht ganz geklappt. Grundsätzlich könnte man meinen, dass ich dennoch ein gutes Turnier spielte, gerade durch den Erfolg in der ersten Runde. Das stimmt auch. Ich selber bin aber nicht zu hundert Prozent zufrieden, weil ich mir vor allem bei den Partien gegen die stärkeren Gegner mehr erhofft habe. Möglicherweise bin ich da auch ein wenig zu selbstkritisch. Wer gewisse Ziele hat, der kann mich vielleicht etwas verstehen. 

Ansonsten war es ein recht schönes Turnier, welches ich jedem weiterempfehlen kann, der zwischen Weihnachten und Silvester noch eine Beschäftigung sucht. Grundsätzlich wurde nämlich viel geboten: Nicht ausgeschaltete Handys im Turniersaal mit eigenartigen Klingeltönen, ebenso auch einen Holländer, der eine Minute nach Ablauf seiner Wartezeit erschien. Dieser war natürlich schneller wieder weg, als er seine Partie beginnen konnte. Eine ordnungsgemäße Einhaltung der FIDE-Regeln wurde also gewährleistet. Lediglich die Luft im Spielsaal wurde mit der Zeit immer stickiger, da man nur vor Beginn der Runde lüftete, um den Lärmpegel möglichst gering zu halten. Wenn man jedoch über 4 Stunden spielt und von seinem Toilettengang zurückkehrt, ist man beim Betreten des Saales wie gegen eine Wand gelaufen. Immerhin gab es vor dem Spandauer Rathaus noch einen geöffneten Weihnachtsmarkt. Direkt vor dem Eingang war im Übrigen ein Glühweinstand – welch ein Zufall. Und nein, ich war vor der Nachmittagsrunde keinen trinken, falls einem das jetzt in den Sinn kommt. So etwas würde ich auch nicht machen. Abends, nach meinen Schwarz-Partien, hätte ich mir aber einen gönnen können, um mich wieder etwas aufzuheitern. Wahrhaftig, wenn ich jetzt so darüber nachdenke, ist die Idee echt gar nicht mal so schlecht…            

Jedenfalls, für mich gilt es nun erstmal allmählich wieder gesund zu werden. Gegen Ende des Turniers hat es mich leider doch noch erwischt, obwohl ich eigentlich nie krank werde. Seitdem schleppe ich mich nun von Tag zu Tag und versuche mich an verschiedenen Medikamenten. Ob der Spielplatz 50 Meter vor meinem Haus noch genauso aussieht und nicht im Silvester-Getümmel untergegangen ist? Ich weiß es nicht. Aber ich habe mir vorgenommen, die Klärung dieser Frage morgen in Angriff zu nehmen. Irgendwann muss ich auch mal wieder das Haus verlassen. Darum habe ich auch jetzt die Zeit, ein paar Zeilen zu meinen letzten Erlebnissen im vergangenen Jahr zu verfassen. Ich weiß, aus „ein paar Zeilen“ sind nun ein paar mehr geworden, nur ich wollte verständlicherweise auch keinem etwas vorenthalten. Ferner hoffe ich, dass ich mit meinem Bericht etwas zur Unterhaltung beitragen konnte. Übrigens hat man mich in Spandau angesprochen und gesagt, dass ich gute Berichte schreibe. Ich, eine höfliche Person, bedankte mich natürlich sofort. Erst später schaltete ich dann mal mein Gehirn ein und dachte darüber nach: Das Lob kam von einem Spieler aus Berlin. Im Grunde genommen impliziert das doch, dass er mit dem Landessschachbund Brandenburg nichts am Hut hat. Wie kommt denn dann ein Berliner Spieler dazu, sich Berichte von Vereinen aus Brandenburg, und dazu noch ausgerechnet Leegebruch, durchzulesen? Ich suchte nochmal das Gespräch und konfrontierte ihn mit dieser Frage. Seine Antwort: „Ich schaue öfter auf irgendwelchen Schachseiten und lese mir Berichte durch, insbesondere welche von Ligaspielen, da mich sowas interessiert. Und deine Berichte sind echt gut, muss ich sagen.“ Ich weiß nicht, wie ihr darüber denkt, aber ich schaue jetzt nicht auf Webseiten von Schachvereinen aus Berlin und lese mir dort Berichte durch. Ab und zu gehe ich mal auf Seiten von Brandenburger Vereinen, gerade wenn wir zuvor gegen sie gespielt haben. Wir können uns aber geehrt fühlen, unsere Karriere wird anscheinend aus Berlin beobachtet!    

Was haben wir schlussendlich gelernt? Nur die Harten kommen in den Garten. In diesem Sinne: Bleibt gesund und einen erfolgreichen Start in das Jahr 2019!

Nikolas Nimptsch

Spaß am Schach in Leegebruch

Spaß am Schach in Leegebruch